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Energie und Klima

Nukleare Zukunft?

Von vielerlei Seiten, auch Klimaschützern, werden Regierung und Energieversorger derzeit gedrängt, die Nutzung der Kernenergie bei­zubehalten und sie künftig gar noch auszubauen. Die Wahrschein­lichkeit einer Klimakatastrophe sei größer als die eines wei­teren Su­pergaus. Wie aber ist ihr Beitrag zur Energieversorgung einzuschätzen und was ist von neuen Techniken zu halten?

Als kurzfristige Maßnahme wird, vor allem in Bayern, ein "Streckbet­rieb" der drei noch in Betrieb befindlichen Reaktoren Isar II bei Lands­hut, Emsland (Lingen) und Neckarwestheim gefordert. Dies würde einen Weiterbetrieb dieser Kernkraftwerke mit ihrem noch verbliebenen nutzba­ren Kernbrennstoff ei­nige Monate über ihr vereinbartes Abschaltdatum hinaus, aber mit reduzierter Leistung bedeuten. Ein nennenswerter Zugewinn an  Energie würde dadurch nicht erreicht. Die Einsparmenge an Erdgas durch den Streckbetrieb würde nach dem Ergebnis des jüngsten Stresstests weniger als ein Promille betragen.

Deutlicher wird die hinter diesen Appellen stehende Absicht bei der Forderung, die verbliebenen Atomkraftwerke bis 2024 weiter zu betreiben oder gar stillgelegte Meiler wie Grundremmingen C wieder zu ak­tivieren: Eine sofortige Wie­derinbetriebnahme wäre ausge­schlossen, weil allein die Herstellung der für diesen Meiler geeigne­ten Brennelemente und die not­wendigen Sicherheitsüberprüfungen mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen würden. Das aber zeigt, worum es wirklich geht: den Atomausstieg in seiner Ge­samtheit auszuhebeln, denn dies bedeutet auch den Weiterbe­trieb für mehrere Jahre. Der Ener­giegewinn in der Grö­ßenordnung von max. 6% wäre durch einen Zubau von Windkraftanlagen und Freiland-Photovoltaik mit Batteriespeichern ebenso schnell zu erreichen. Der Vorteil des Weit­erbetriebs der Altmeiler liegt aber darin, dass die marktfremden Sondertarife für energieintensiv­e Branchen auf Kosten der Sicherheit die gleichen blie­ben, die Folgelas­ten und Risi­ken indessen von der Allgemeinheit zu tragen wären. Zur Veranschauli­chung: Allein der Rück­bau des AKW Greifs­wald hat inzwischen schon mehr als vier Milliar­den Euro bean­sprucht und über die Kosten für eine si­chere Endlagerung der hochaktiven verbrauchten Brennelemente besteht noch kei­nerlei Klar­heit. Vergessen wir auch nicht: Bei der Suche nach einem Endlager war 1974 u.a. die Sohlhöhe im Spessart im Gespräch. Die Wahl fiel damals auf Gorleben, das aber inzwischen nicht mehr in Frage kommt. Somit könnte ein Standort im Spessart wieder interessant werden. Der Freistaat Bayern selbst wird sich als größter und wahrscheinlich letzter Nutznießer der Kernenergie in Deutschland nicht auf Dauer einer Debatte über die Wahl eines Endlager-Standorts verschließen können.

Der Bau neuer Kernkraftwerke vom Typ Grafenrheinfeld oder Isar II wäre indessen allein schon aus Kostengründen kei­ne sehr attraktive Option: Sowohl das Projekt Flamanville in Frankreich als auch Hinkley Point in England oder Okiluoto in Finnland haben sich zu einem finanziellen und planeri­schen Fiasko entwi­ckelt. Der Reaktor Flamanville wird seit 2007 gebaut und sollte ursprünglich 2012 ans Netz gehen. Der Termin wurde nun auf das zweite Quartal 2023 verschoben, wird aber wohl nicht vor 2024, mit einer Verspätung von zwölf Jahren, ans Netz gehen. Die Kosten steigen laut EDF von ursprünglich veranschlagten 3,3 Milliarden auf 12,7 Milliarden Euro. Der französi­sche Rechnungshof rechnet mit mehr als 19 Milliarden. Eine ähnliche Kostenex­plosion verzeichnet das finnische Co-Projekt in Olkiluoto: Der Reaktor kostete statt 3,2 am Ende neun Milliarden Euro. Er ging im Dezember 2021 in Betrieb, nach einer Bauzeitüber­schreitung von ebenfalls über zwölf Jahren. In Hinkley Point rechnet man inzwischen mit Stromge­stehungskosten von 13 Ct/kWh ge­genüber derzeit 4 Ct/kWh für Onshore-Windkraftanlagen und Photovoltaik-Großanlagen. Nicht zu­letzt ist auch bezeichnend, dass über die Hälfte der französi­schen Atomkraftwerke in diesem Jahr wegen technischer Mängel oder Wartungsarbeiten vom Netz genommen wurde und Frank­reich deshalb in hohem Maß auf Solarstromimporte aus Deutsch­land und Spanien angewiesen ist.

Im Gespräch sind deshalb modulare SMR-"Mini-Reaktoren" mit einer geplanten elektrischen Leis­tung von 1,5 bis 300 MW (gegenüber 1000 - 1600 MW bei einem konventionellen Druckwasserre­aktor). Ein si­cherheitstechnischer Vorzug liegt darin, dass die meisten Anlagenteile untertägig ver­baut sind, und so eine geringere Gefährdung durch den Absturz von Flugzeugen oder mili­tärische Einwir­kung besteht. Ganz neu ist dieses Konzept freilich nicht: Schon beim ersten kommerziellen deut­schen Reaktor, dem 1960 fertiggestellten Versuchsatomkraftwerk Kahl, kam es zum Tragen. Si­cher vor Störfällen war dieses aber deshalb keineswegs und es wurden auch deren 16 zum Teil sehr gefährliche verzeichnet. Der be­kannteste Hersteller von SMR-Modulen, Nuscale Power, wirbt zudem damit, dass bis zu zwölf von­einander unabhängig arbeitsfähige Modu­le mit dann zusammen 600 MW Leistung in ei­nem Gebäu­de untergebracht werden sollen. Diese Leistung entspricht etwa der Hälfte der Leistung "klassi­scher" Atomkraftwerke wie Grafenrhein­feld oder Isar II und der ganze Kom­plex könnte dann nicht mehr als "Mini"-Atomkraft­werk gelten. Die Alternative wäre, dass mehrere hundert dieser Mini-Atomkraftwerke über das Land verteilt würden, die sich zum Teil dann auch in Privatbesitz befinden. Pro Kilowatt Nominalleistung werden SMR dann aber wesentlich teurer sein als gegenwärtige Atomkraftwerke. Ein wirtschaftlicher Vorteil ergäbe sich erst dann, wenn SMR in Stückzahlen von mehreren tausend produziert würden. Aus technischer Hinsicht werden sie darüber hinaus einen geringeren Wirkungsgrad haben. Eine Studie des Öko-Instituts, der TU Berlin und des Physikerbüros Bremen kommt zu dem Schluss, dass auch die Erwartung geringerer Bauzeiten und eines weniger komplizierten Rückbaus empirisch nicht fundiert ist.

Gerne werden auch "Flüssigsalz-Reaktoren" ins Spiel gebracht. Da der Kernbrennstoff hier bereits in Form eines geschmolzenen Salzes vorliegt, besteht nicht die Gefahr einer un­kontrollierten Kern­schmelze wie etwa in Fukushima. Zudem arbeiten sie bei Atmosphärendruck und nicht, wie Druck­wasserreaktoren, bei Drücken von 50 bis 150 bar, weshalb eine Dampfexplosi­on oder -freisetzung im Bereich des Reak­torkerns nicht möglich ist. Außerdem besteht die Möglichkeit, während des lau­fenden Prozesses Spalt­produkte auszuleiten und z.B. auch aus reichlich verfügba­rem Thorium spalt­bares Material zu erbrü­ten. Thorium streckt aber in solchen ge­mischten Brenn­stoffen nur das primä­re Spaltmaterial, Uran oder Plutonium, und kann es nicht erset­zen. Zudem ist die Frei­setzung von radioaktivem Tritium etwa 50-mal hö­her als in Druckwasserreaktoren oder in Schnellen Brü­tern. Bei Thorium­verwendung ist zwar die Toxizität des langlebigen nuklearen Ab­falls deutlich ge­ringer, die Notwen­digkeit eines sicheren Langzeitendlagers aber bleibt. Ebenso er­öffnet das Ver­fahren auch die Mög­lichkeit, waffenfähige Nuklide zu gewinnen und es steht deshalb wegen der Proliferations­gefahr in der Kritik. In China werden seit Januar 2011 mehrere Flüssigsalz-Reaktor­konzepte er­forscht und entwickelt. Bislang wird davon ausgegangen, dass es ungefähr 20 Jahre dau­ert, bis ver­kaufsfähige Prototypen gebaut und exportiert werden können.

Die Lösung aller Probleme wird von vielen dem Kernfusionsreaktor zugeschrieben. Hier werden, nach dem Vorbild der Sonne, Wasserstoffkerne aus Bor- oder Lithium-6-hydriden zu Heliumkernen fu­sioniert. Dabei bilden sich wohl nicht die hochgefährlichen Spaltprodukte wie bei der Kernspaltung, es ist jedoch eine Illusion, dass dabei kein radioaktives Material entsteht. Nicht nur würde im Re­gelbetrieb wesentlich mehr Radioaktivität - in Form von Tritium - freigesetzt als in konventionel­len Atomkraftwerken, sondern das Inventar wür­de auch durch die ständige harte Neutronenstrah­lung aktiviert. Insgesamt würde ein Fusionsreaktor bei einer Laufzeit von 30 Jahren 16.000 Tonnen Ab­fall produzieren, bei seinem Abriss käme noch einmal mehr als die doppelte Menge hinzu. Von der anfallenden Abfallmenge her, so befand eine Studie der europäischen Kommission 1995, unter­scheidet sich damit ein Fusionsreaktor nicht von einem klassischen Kernkraftwerk. Ein noch größe­res Problem dürfte ohnehin die Verfügbarkeit und die Wirt­schaftlichkeit sein. Bei den derzeit veran­schlagten Baukosten von 20 Milliarden Euro für einen Fusionsreaktor dürfte es schwierig sein, die Stromgeste­hungskosten von 4Ct/kW von Solarkraftwerken und Windkraftanlagen zu unterbieten. Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut in Greifswald, wo der erste Fusions­reaktor vom "Stella­rator"-Typ erprobt wird, rechnet zudem erst Mitte der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mit einem Fusionskraftwerk. Unser derzeit drängendstes Problem ist aber der kurz­fristige Ersatz von Erdgas, und zwar durch Primärenergieträger, die auch alle seine Funktionen aus­füllen könnten. Das aber kann die Kernenergie, in welcher Variante auch immer, nicht leisten.

Bearbeitet: H. Haas-Hyronimus